Samstag, 17. Januar 2009

Crazy, crazy day, part 3

18.10 in der S-Bahn Richtung Friedrichstraße
Lars und ich machen Brotzeit. Das frische Zwiebelbrot wir mitten in der S-Bahn mit dem blauen BLUBBAR Messer geschnitten und in den Frischkäse gedippt. Das mag für die anderen Fahrgäste etwas unappetitlich aussehen, aber es lässt sich nicht ändern. Wir haben Hunger. Wir wissen, dass wir über sechs Stunden arbeiten müssen und wir wissen nicht, wann und ob wir bei dieser historischen Veranstaltung des heutigen Tages Pause zum Essen kriegen, wenn unsere Oberchefs im Haus sind und uns bei der Arbeit kontrollieren. Also wird heute in der S5 geabendbrotet.

18.33 im Foyer der Staatsoper
Was für eine Hektik! Fünf verschiedene Filmteams laufen aufgeregt durchs Haus. Auf dem Bebelplatz stehen drei verschiedene Ü-Wagen und Busser verschiedener Fernseh- und Radiosender. Auf der anderen Seite der Oper stehen die zahlreiche große Polizeiautos. Ein roter Teppich im Foyer ist ausgelegt, eine Ecke für Fernsehinterview zurechtgemacht. Irgendwie sind mir das viel zu viele Menschen mit viel zu vielen Fragen. Vor allem weil sich die Medienleute immer für unglaublich wichtig halten und sich aufregen, wenn wir sie in bestimmte Bereiche nicht durchlassen. Ha, wahrscheinlich bin ich später ganz genau so! Ein zickige arrogante Medientante, die sich immer überall vordrängelt. Ich kleines bisschen freue ich mich darauf schon..

18.45 im ersten Rang
Dienstbeginn. Ich muss gefühlte 1000 kleine Zettelchen mit einem Statement des Orchesters zur Situation im Gaza in Programme des heutigen Abends einlegen, während viele wichtige und weniger wichtige Menschen mit Handy an den Ohren aufgeregt von A nach B laufen und ganz furchtbar gestresst aussehen.

19.00 Einlassbeginn
Ich weiß nicht, ob ich noch ein paar Minuten sitzen bleiben kann oder nicht, weil ich nicht weiß, ob die Menschen, die die Treppe hochkommen nun Journalisten, Polizisten in Zivil oder richtige zahlende Gäste sind, für die ich mich zu meinem Verkaufstisch begeben müsste. Weil jederzeit einer meiner Chefs kommen könnte, entscheiden wir uns fürs Einnehmen unserer Positionen.
Irgendwelche Techniker irgendeines Filmteams wollen in die Mittelloge, um sich die Probe anzschauen, weil ihre Chefin das versprochen hat. Meine Kollegin diskutiert mit ihnen und erklärt, dass unsere Chefin davon wenig begeistert wäre. Mein Kollege und ich unterhalten uns derweil lieber über die Freuden und Leiden von Serviceberufen.

19.35 auf Position 1M
Der Rang füllt sich mit zahlenden Gästen, die Programme kaufen wollen. Mein Portmonee wird mit den vielen Zwei-Euro-Stücken schwer und unhandlich. Die Gäste schwärmen von dieser wunderbaren Gelegenheit ein ganz besonderes Orchester zu sehen und stellen mir massenhaft Fragen zum Programm des heutigen Abends. Ich lächle sie an und sage ihnen, dass ich Filmwissenschaftlerin sei und keine Musikwissenschaftlerin. Meine Kollegin beantwortet als angehende Sängerin und Liebhaberin der klassischen die Musik gern die Fragen der Gäste.

19.58 vor der Mittelloge
Herr Köhler, seine Frau und gefühlte zehn dazugehörige Bodyguards betreten den Rang und werden auf ihren Platz in der Mittelloge begleitet. Ich bin bass erstaunt. Ich wusste ja gar nicht, dass unser werter Bundespräsident tatsächlich pünktlich zu Opernabenden erscheinen kann. Das hat er bis jetzt doch nie geschafft. Glücklicherweise versorgt ihn eine Dame vom Haus mit Programmheften. So geifen seine Bodyguards dieses Mal nicht unaufgefordert nach den Programmbüchern, ohne diese zu bezahlen.

20.08
Die Türen sind zu. Das Orchester beginnt zu spielen. Ich sinke erschöpft in einen Polsterstuhl, versorge Köhler Bodyguard mit den Informationen zum Ablauf des Stücks und hole mein Tagebuch raus, um über den aufregenden Tag zu berichten. Der Bodyguard fragt höflich, ob es mich stört, wenn er neben mir sitzen bleibt. Ich muss fast lachen. Schließlich ist es mein Job hier zu sitzen und aufzupassen und sein Job hier zu sitzen und aufzupassen. Er tut mir ein bisschen Leid, weil er sich nicht zu lesen mitgenommen hat und überlege, ob ich ihm was zu lesen anbieten könnte, komme dann aber zu dem Schluss, dass ihn Richard Dyer wohl nicht so interessieren wird und ich mein Tagebuch zur Lektüre nicht hergeben werde.

21.55 immer noch im ersten Rang
Weil ich nichts zu lernen habe, schreibe ich tatsächlich fast zwei Stunden lang Tagebuch. Aber langsam fällt mir auch nichts mehr ein. Der Bodyguard und ich warten ungeduldig darauf, dass der zweite Teil endlich fertig ist. Die angegeben 40 Minuten sind längst vorbei. In fünf Minuten beginnt der Einlass fürs zweite Konzert und alle ahnen, wie chaotisch das werden wird. Die Frau vom Haus, die für Köhlers Wohlergehen zuständig zu sein scheint, beklagt sich, dass Barenboim sich um so organisatorische Dinge überhaupt nicht kümmere und deshalb zu langsam dirigiere. Ich nicke und stelle mir/ihr die Frage, wer sich eigentlich um 23 Uhr ein Konzert in der Oper anhören wird und erkläre, dass meine Eltern schon um 22 Uhr im Bett sind. Die Frau ist der Ansicht, das sei ein Stadt-Land-Unterschied. Ich bezweifle, dass meine Eltern später ins Bett gehen würden, wenn sie in einer großen Stadt wohnen würden und erzähle ihr, dass die Ampel in meinem Heimatsort schon um 20 Uhr ausgeht.

22.07 Garderobe links, letztes Fenster
Das Orchester ist endlich fertig. Ich stehe neben meinem Oberchef und beruhige ihn, dass er sich keine Sorgen machen muss, wenn er mit der Ausgabe zu langsam ist, weil er keine Übung mehr hat und versichere ihm, dass ich total schnell bin. Nach einer kurzen Vorführung bei der Ausgabe eines Mantels ist er überzeugt und tief beeindruckt.

22.09
Zwei Fenster weiter
fängt meine Kollegin an zu kreischen. Alle gucken ein paar Sekunden etwas überrascht in ihre Richtung, bis wir begreifen, dass eine andere Kollegin steif am Boden liegt. Ich springe über den Tresen, sprinte ins Parkett hoch und mache Gebrauch von kräftigen Stimme und schreie aufgeregt nach einem Arzt. Der Theaterarzt ist auf die Schnelle nicht aufzufinden, meine Kollegin, die wissen müsste, wer es ist, auch nicht. Ich schreie einfach weiter, bis eine junge Frau reagiert, die Ärztin ist und mit mir zurück sprintet und über den Tresen springt.
Nachdem ich weiß, dass die krampfende Kollegin versorgt wird, gehe ich zurück auf Position und teile eilig Mäntel, Taschen, Hüte und Schirme aus. Ich zittere und mir ist ein bisschen schlecht irgendwie. Ich wusste bis eben gar nicht, dass ich so schnell rennen kann. Und das auf Pumps. Hätte ich einen solchen Sprint mal bei den Bundesjugendspielen 1995 hingelegt, hätte ich möglicherweise sogar eine Siegerurkunde bekommen.

Die Gäste fragen neugierig, was los sei. Die Ärztin schreit nach der Feuerwehr. Wir haben, die Dienstanweisungen befolgend, keine Handys dabei. Empfang gibt's hier sowieso nicht. Nach dem dritten Aufruf können wir unseren Chef dazu bringen, sein Handy zu nutzen und den Krankenwagen zu rufen. Inzwischen ist auch ein Mann von der Brandsicherheitswache bei der Kollegin. Nur der Theaterarzt tauch nicht auf.
Wenn ich zu den Jacken jenseits der Nummer 364 will, muss ich über die krampfende Kollegin rübersteigen und fühle mich wie im Krieg.
Die Gäste der zweiten Vorstellung sind in inzwischen auch schon da und möchten ihre Jacken bei mir abgeben. Ich erkläre ihnen, dass sie damit bitte zur mobilen Garderobe gehen sollen, da wir mit dem Auslass beschäftigt sind. Die Gäste gucken mich beleidigt an und gehen nicht weg.
Ich renne mit schweren Mänteln hin und her und schwitze unter meinem Blazer das ganze Hemd durch. Ich habe Hunger. Ich habe Durst!

22.25
Die Garderobe leert sich langsam und ich entscheide, dass ich jetzt wohl besser auf meine eigentlich Position zurückkehre und ein paar Programme verkaufe. Oben angekommen trinke ich unterm Wasserhahn erstmal einen halben Liter eklig rostiges Wasser, ziehe meinen Blazer aus und erzähle meiner unwissenden Kollegin vom Drama im Keller.
Wir machen uns Gedanken und vergessen dabei ein wenig, dass wir eigentlich zum Arbeiten hier sind und nicht zum Kaffeeklatsch.

22.33 1.Rang
Mein Kollege kommt von der Garderobe hoch und erzählt furchtbare Geschichten von epileptischen Anfällen und Unterversorgung des Gehirns und Absterben der Gehirnzellen. Mir wird schlecht, weil ich das nicht abkann und ich seit viereinhalb Stunden nichts gegessen habe. Ich sage ihm, dass er aufhören muss, weil ich sonst in Ohnmacht falle.

22.40
Von irgendwoher kommt das Gerücht auf, dass die Garderobieren unten völlig überfordert sind, sodass meine Kollegen zur Aushilfe runterlaufen und mich mit dem Rang allein lassen. Ich sage, dass ich das schaffe und versuche, eine Holzkiste Programme auf meiner Hüfte zu balancieren und gleichzeitig die schweren Türen zum Saal zu öffnen.

22.42
Meine Einsatzleiterin kommt vorbei und ist wenig begeistert, dass meine Kollegen ohne Anweisung ihre Positionen verlassen haben, ich allein auf dem Rang herumlaufe und die Arbeit für drei mache.

22.57
Meine Einsatzleiterin teil mit, dass wir eine Viertelstunde später anfangen werden, weil die Musiker ein bisschen mehr Verschnaufpause zwischen den Konzerten brauchen und keiner so richtig weiß, ob das zweite Konzert mit oder ohne Pause gespielt wird. Weil ich eh keine Programme mehr habe, bekomme ich die Aufgabe durch's Haus zu laufen und meine Kollegen zu informieren. Ich laufe in den dritten Rang und gebe meinen Kollegin Bescheid, die böse gucken. Ich denke an das Alte Rom (oder war es Griechenland), wo die Überbringer schlechter Nachrichten umgebracht wurden und bin froh im Deutschland des 21. Jahrhunderts zu sein.

23.30 Damenumkleide
Das Konzert hat endlich angefangen und die Abrechnung ist gemacht. Ich laufe in die Umkleidekabine zu meinem Zwiebelbrot und reiße mir ein bisschen was ab, um was gegen das Zittern zu tun. Lars ist auch schon da, weil er ebenfalls Hunger hat. Wir entscheiden, dass wir unbedingt noch feiern gehen müssen, weil wir uns das wirklich verdient haben.
Ich hole die Flasche Rotkäppchen Rubin aus meinem Spind und gebe sie meiner Einsatzleiterin, damit sie auf dem Fensterbrett kalt gestellt werden kann.

0.15 1. Rang links
Ich entscheide, dass ich zu fertig und überdreht bin, um noch an der Reportage zu arbeiten, schreibe lieber weiter Tagebuch und stöhne zusammen mit den Kollegen über unsere undankbaren Arbeitszeiten.

0.40
Garderobe links
Das Konzert ist endlich zuende. Ich schmeiße den Gästen überschwänglich ihre Mäntel entgegen und wünsche ihnen eine gute Nacht. Ich möchte sagen, geht jetzt sofort nach Hause und kommt nicht auf die Idee, im Foyer noch einen Klönschnack mit euren Kulturtantenfreundinnen abzuhalten.


0.55 Parkett links
Die Mäntel sind weg! Die Gäste auch! Ich trage mich aus. Meine Einsatzleiterin gibt mir meinen Sekt. Alle Kollegin gucken komisch. Ich sage nur, dass ich mir den heute wirklich verdient habe und gehe mich schnell umziehen. Feierabend!



Freitag, 16. Januar 2009

Teil Zwei des völlig verückten Montages

14.05 wieder bei den Bewerbungsunterlagen
Ich stelle fest, dass ich auf dem nicht tabellarischen Lebenslauf ein Passfoto kleben soll und kriege eine weitere schlimme Krise. How dare they? Warum kann ich nicht einfach meinen wundervollen tabellarischen Lebenslauf mit dem zauberhaften digitalen Foto aus Montepelier nehmen. Da sehe ich wenigstens nicht aus wie der letzte Honk, eine sterbenskranke Schwergewichtsboxerin oder ein zwölfjähriges Gothic-Kid. Passfotos schaffen es aus mir, selbst an Tagen, an denen ich mich eigentlich ganz gut fühle, ein blasses, konturenloses, dickgesichtige Monster zu machen. Wer mein Personalausweisfoto sieht, schmeißt meine Bewerbung sofort in hohem Bogen in den Altpapierkorb. Oder hängt sich das Bild zum täglichen Ablachen an die Büro-Pinnwand. Also neue Bilder...

14.15 im Badezimmer
Murphy schlägt zu. Warum kriegt man die wichtigen Anrufe in den ungünstigsten Momenten. Warum muss mein Handy mit dem angekündigten Jobangebotsanruf ausgerechnet jetzt klingeln? Die scheinen am anderen Ende der Leitung ein Talent für ungünstige Anrufzeiten zu haben (und können damit zusammen mit Lars eine Selbsthilfegruppe gründen). Nachdem sie mich das erste Mal in Gran Canaria im Taxi erreicht haben, das zweite Mal während der Schulung im Friedrichsstadtpalast (das Handy war selbstverständlich auf lautlos) anriefen, ist dies wirklich der ungünstigste aller Momente.
Ich wette, dazu steht auf Jonas' Plakat zu Murphy's Law ein passender Spruch.
Na gut, es ist wichtig. Also laufe ich mit offener Hose durch die Wohnung zum Telefon. Da nur Gregor da ist und ich für dessen Geschmack eh zehn Jahre zu alt und zehn Kilo zu schwer bin, ist mir das auch nicht weiter peinlich. Und die Frau am anderen Ende kann mich ja glücklicherweise nicht sehen, sondern nur den Enthusiasmus in meiner Stimme hören.

14.25 zurück am Laptop in Daniels Zimmer
Ich entscheide, dass heute mein Glückstag ist und ich unbedingt mein Telefoninterview führen sollte. Ich strahle schließlich vor mich hin und kann diese positive Grundeinstellung und mein umwerfendes Lächeln heute bestimmt auch durch den Hörer nach Frankfurt rüberbringen.
Der Mann am anderen Ende der Leitung möchte allerdings ersteinmal wissen, ob ich schwimmen könne. Ich sage: ...joaaa.... Und denke an den Schwimmkurs bei der bösen Frau Claus, die immer ganz viel rumgemeckert hat und mich in den letzten zehn Minuten nie mit den anderen im Nichtschwimmerbecken hat spielen lassen, weil ich so langsam war und ein paar Strafbahnen schwimmen musste. Aber gut. Ich habe das Seepferdchen bestanden. Insofern ist meine Antwort wahr!
Als nächstes erkundigt sich der Mann in Frankfurt nach möglichen Piercings und Tattoos. Ich erzähle, wie klitzeklein der Stecker in meinem rechten Nasenflügel ist und biete ihm an, den im Falle eines persönlichen Vorstellungsgesprächs und einer Anstellung rauszunehmen. Das wollte er hören!
Es geht auf Englisch weiter. Nachdem ich ausführlich erklärt habe, wo ich Englisch gelernt habe und was ich für Serviceerfahrungen habe, kommen seltsame Fragen, deren Antworten ich mir schnell ausdenken muss, obwohl ich nicht genau weiß, was ich selbst für guten Service halte und erst recht nicht, was die Fluggäste Nettes über mich auf die Feedbackformen schreiben werden. Ehrlich gesagt denke ich nicht, dass irgendjemand je einen Feedbackbogen ausfüllt, wenn er sich nicht über etwas aufregen möchte. Das erkläre ich dem Mann am anderen Ende der Leitung, aber er zeigt wenig Verständnis für meine Ansicht.
Zwischendurch sehe ich mein Handy aufleuchten (zum Glück lautlos). Papa versucht anzurufen. Wahrscheinlich will er mir mitteilen, dass er eine Stewardess ausfindig gemacht hat, die mir ein paar Tipps geben kann. Oder mir davon abraten das Interview heute zu führen. Zu spät!
Nach zwanzig Minuten ist das Gespräch vorbei. Der Mann fragt mich, ob ich noch Fragen hätte. Ich weiß wirklich nicht, was ich ihn fragen sollte. Also lasse ich mir eine Rückrufnummer geben und lege auf.

14.50 in der Küche
Ich komme fluchend aus Daniels Zimmer. Jana ist gerade von der Uni gekommen und kocht sich Mittagessen: "Wusst ich's doch, dass ich deine Stimme aus Daniels Zimmer gehört habe." - "Ja, ich habe da gerade mein Home Office eingericht und mein Job-Interview gehabt." Ich laufe zu den Resten meines Milka-Kuhflecken-Weihnachtsmannes und stecke mir nervös ein Stück nach dem anderen in den Mund: "Scheiße man. Das lief ja richtig schlecht. Was waren denn das für bescheuerte. Was soll man denn um Himmels Willen auf die Frage antworten, warum sie gerade mich einstellen sollten. Und wie definiert man guten Service?!" Jana versucht - wie immer- ganz therapeutisch einfühlsam auf die Situation einzugehen: "Bist du dir sicher, dass es wirklich so schlecht war? Nur weil du das Gefühl hast, dass es nicht so gut lief, heißt das doch nichts?" Noch ein Stück Weihnachtsmann. Ich bin desillusioniert und erschüttert, dass mein Plan B nicht aufzugehen scheint. Jana versucht weiterhin, mich zu beruhigen und schlägt vor, ich könne mich doch auch einfach bei KLM bewerben. Könnte ich wohl, wenn ich denn des Niederländischen mächtig wäre. Bin ich aber nicht. Insofern muss ich mich wohl an deutsche Fluggesellschaften halten.

15.15 S+U Bahnhof Schönhauser Allee
Mal wieder mein Handy. Ein Rückruf von Papa. Ihm ist etwas eingefallen, dass sie im Interview sicher fragen werden: "Die werden von dir wissen wollen, warum du das nach dem Studium noch machen willst. Da musst du eine gute Antwort drauf haben." Leider haben sie das nicht gefragt. Denn darauf hätte ich sogar eine gut durchdachte Antwort gehabt. Also erzähle ich Papa und allen anderen Fahrgästen in der U2 detailliert von meinem Bewerbungsgespräch. Er will jede Frage und jede meiner Antworten genau wissen. Also werden meine Sitznachbarn werden über meine Sicht von gutem Service informiert. Irgendwie sind sie davon nicht so richtig begeistert. Nein, ich kann nicht leise reden. Kann ich wirklich nicht. Wenn die einmal im Leben bei uns zu Hause am Küchentisch gesessen hätten, wüssten sie, dass das Motto "survival of the loudest" gilt. Wie soll man sich denn sonst Gehör verschaffen.
Als die U2 kurz vorm Senefelder Platz unter die Erde fährt, habe ich keine Verbindung mehr. Ich ärgere mich und die anderen Fahrgäste freuen sich!

15.30 Umsteigen am Alex
Papa ruft zurück und will die restliche Berichterstattung hören. Also erzähle ich weiter und rege mich über die komischen Fragen auf. Als die S-Bahn am Hackeschen Markt einfährt stellt Papa fest: "Hey, du bist jetzt am Hackeschen Markt. Das habe ich gehört." Wie schön! Da macht er eine kleine telefonische Reise durch die Stadt mit.
Nachdem ich das gesamte Telefoninterview samt meiner Anmerkungen und Gedanken dazu wiedergegeben habe, ist Papa sicher, dass ich alle Fragen richtig beantwortet habe und immer noch im Rennen bin. Ich hoffe, dass das nicht eine solche verklärte väterliche Überzeugung ist wie bei meiner Bewerbung an der HU.

16.00 McCafé im Hauptbahnhof
Traditionelles montägliches Kaffeetrinken mit Lars in unserem Stammcafé. Ich habe so viel zu erzählen, dass ich gar keine Zeit für meinen grande Mocha mit fettarmer Milch habe. Und irgendwie bin ich auch viel zu überdreht und viel zu aufgeregt für Koffein. Ich rede eh schon so viel, als hätte ich bereits drei doppelte Espresso intus. Lars bleibt nichts anderes übrig als schweigend an seinem Latte zu nippen und sich für mich zu freuen.

17.00 Aula der Joan-Miro-Grundschule in Charlottenburg
TU Tanzkurs A1. Wie immer lachen und diskutieren wir mehr als wir tanzen. Die Schritte haben wir jede Woche wieder vergessen. Der Wiener Walzer ist nicht so unser Ding. Der langsame Walzer auch nicht. Ich finde, Lars' Vorwärtsschritte sind zu klein und Lars meint, ich drehe mich zu viel. Immerhin müssen wir heute keine Taktik überlegen, um den Partnerwechsel zu umgehen, den wir so hassen. Dafür klingelt mitten in der Trockenübung für den langsamen Walzer mein Handy. Und zwar gefühlte fünf Minuten lang. Ich überlege, was Papa und ich uns heute noch zu erzählen hätten und versuche möglichst unbeteiligt auszusehen, damit niemand darauf kommt, das es mein Telefon ist, dass da stört.
Zehn Minuten später fallen wir sowieso unangenehm auf, da wir früher gehen müssen. Die Arbeit ruft.

Teil 3 folgt...

Dienstag, 13. Januar 2009

Oh, what a day!

Eigentlich habe ich keine Zeit zu bloggen. Eigentlich sollte ich andere viel wichtiger, lebensentscheidendere Dinge schreiben. Einen nicht-tabellarischen Lebenslauf zum Beispiel. Oder einen Reportage über fahrende Händler in Deutschland. Und einen Brief an meine Krankenkasse.

Aber als ich gestern Abend um zwanzig nach zehn zitternd und mit einem flauen Gefühl im Magen neben meinen Oberchef in der Garderobe stand, aufgeregt Mäntel austeilen und dabei über meine bewusstlose Kollegin klettern musste, da dachte ich mir, dass ich diesen Tag einfach nicht wortlos vorrüberziehen lassen dürfe. Viel zu viel. Viel zu lang. Viel zu aufregend. Viel zu anstrengend. Viel zu viel Adrenalin.
Here we go.

8.15. Auf Lars' Sofa.
mein Wecker klingelt. Viel zu früh für mich. Zumal ich unruhig geschlafen, wirr geträumt und zwischendurch immer wieder an schöne Frauen in glitzernden Kostümen bei Berkeley und Gene Kellys Regenschirm gedacht habe. So oder so ähnlich. Also, schnell schick anziehen und Haare hoch. Frühstücken kann ich nicht, das ist mir zu früh und ein klitzekleine-tiny-weeny-wee aufgeregt bin ich vielleicht doch. Also nur ein viel zu heißer Tee, von dem ich gerade mal ein Viertel schaffe.

8.52 M10 Richtung Warschauer Straße.
Meine Güte, sind die Bahnen zu früher Stunde voll. Das merke ich ja sonst nie. Ich habe zu meinen normalen Zeiten immer nur ein paar Rentner, Touristen und Motz-Verkäufer in der Bahn. Haben die Leute alle kein zu Hause? Oder ungemütliche Betten?

9.08 U1 Richtung Uhlandstraße.
Endlich hinsetzen. Karteikarten raus und alles nochmal lesen. Was habe ich nur für eine furchtbare Sauklaue?! Überall fehlen Buchstaben, Klammern oder gleich ganze Worte. Da kann ich ja gleich gucken, wie gut ich gelernt habe. Wenn ich die fehlenden Buchstaben und Begriffe im Kopf ergänze kann, kann ja nichts schiefgehen.

9.25 U Bahnhof Kurfürstendamm.
Die U9 fährt mir beim Umsteigen vor der Nase weg und ich ärger mich, was die BVG mir da schon wieder für eine Verbindung rausgesucht hat. Kein Mensch kann schneller gehen (also umsteigen) als ich. Wie soll man es denn in einer halben Minute vom einen Ende der U1 runter zur U9 schaffen??? Wenn die nächste Bahn erst in drei Minuten kommt und ich noch den X83er als Anschluss kriegen muss, der sowieso immer so unzuverlässig ist, wie soll ich denn dann so rechtzeitig am Institut sein, dass ich vorher nochmal aufs Klo kann. Grrr. Also setze ich mich hin und esse drei Handvoll Smacks und sehe dabei aus wie Krümelmonster.

9.39 S und U Bahnhof Steglitz.
Alles wird gut. Ich nehme den richtigen Ausgang vom U Bahnhof (und das ist gar nicht so einfach) und stehe zwischen zig anderen Studenten an der richtigen Bushaltestelle. Der X83er kommt nach zwei Minuten und lässt uns verbotenerweise hinten einsteigen, sodass ich nicht auch noch nach meinem Ticket kramen muss.

9.50 Institut für Filmwissenschaft, vorm Büro meiner Professorin.
Wir warten auf den Protokollanten. Währenddessen unterhält sich meine Professorin mit dem anderen Professoren des Instituts über ihr Wochenende: "Na, wie war dein Wochenende?" - "Ganz gut, ein bisschen langweilig. Ich bin viel spazieren gegangen." - "Ist doch gut." - "Ja, schon. Was hast du denn gemacht." -"Wir hatten Besuch. Das ist immer ein bisschen anstrengend, finde ich. Da muss man immer so viel kochen und so." - "Ja, stimmt." - "Na ja, und außerdem haben wir ordentlich gebechert. Bis in die Morgenstunden diskutiert. Da ist man um vier Uhr morgens hellwach." - "Haha, dafür ist man mittags um zwei müde." - "Genau... So, dann muss ich jetzt eben noch ein paar Prüfungen machen. "-"Bis nachher."

10.00 im Büro.
Ich werde erstaunlicherweise nicht gefragt, ob ich mich prüfungsfähig fühle. Dabei stand das als Ankreuzoption oben auf dem Protokollbogen, den ich mitbringen musste (dementsprechend in einer Panikattacke am Samstagmorgen gesucht und erstaunlicherweise sofort gefunden habe... ich hatte ihn ordentlich weggelegt!!!). Scheinbar sehe ich unglaublich fit aus, sodass sie Frage heute wegfällt. Stattdessen geht es los mit: "Sie haben sich ja wenigstens mal ein schönes, fröhliches Thema ausgesucht."
Es folgt eine Frage zu Madonna und ihrer Rolle in Evita. Ich erzähle irgendwas von der Interdependenz zwischen Filmindustrie und Popmusikindustrie und trete aus Versehen die Professorin unterm Tisch. Huch!
Fragen zu "Singin' in the Rain": Ich denke daran, wie Kathleen und ich die DVD vor ziemlich genau einem Jahr in ihrer neuen Wohung von ihrem Gästebett aus geguckt und dabei eine Tüte Haribo Tropi Frutti in Sekundenschnelle aufgegessen haben und wie toll mir die Schuhe in dem Film gefallen haben und erzähle irgendwas über die Darstellung der neuen Technik und ihrer Demystifizierung. Anschließend trete ich die Professorin unterm Tisch. Oups.
Fragen zu Marlene Dietrich in "Der blaue Engel": Ich denke daran, dass das Filmplakat seit drei Jahren an unserer Wohnungstür hängt und ich den Film nie geguckt habe und spreche über die Schwierigkeiten der Genredefintion. Dabei trete ich aus Versehen unterm Tisch meine Professorin gegen ihre schicken schwarzen Stiefel.

10.30 Die Prüfung ist zuende. Die Professorin schickt mich raus und sagt: "So furchtbar waren die Fragen ja nun nicht, dass sie mich dauernd treten mussten."

10.31 vor der Tür.
Ich treffe auf die Studentin, die nach mir Prüfung hat. Sie sieht aus, als hätte sie eine Woche lang nicht geschlafen, guckt mich verängstigt an und erzählt mir von ihrer Prüfungsangst. Ich bin kurz davor zu sagen, dass die Fragen ziemlich fies waren, kann mich aber gerade noch zusammenreißen. Stattdessen erzähle ich, ebenso wenig einfühlsam, dass ich darunter glücklicherweise nicht leide und Samstagnacht noch Bier trinken war, weil ich so entspannt war.

10.32 Ich werde wieder reingerufen. Die Professorin gratuliert mir und sagt mir mehrfach, dass sie mich ermutigen möchte, beim nächsten Mal etwas mehr von der Literatur und dem historischen Raster abzurücken und mir ein paar gewagtere Thesen zuzutrauen. Ich lächle sie an, bedanke mich und denke, dass das ein überflüssiger Ratschlag für eine angehende Stewardess ist. Aber das sage ich ihr lieber nicht. Stattdessen erzähle ich ihr, wie schön ich am Samstag mit Jan gelernt habe und dass man mir im Prüfungsamt meine gesamten Studienbuchseiten weggenommen habe, sodass ich nicht weiß, wie ich mich für die nächste Prüfung anmelden soll. Sie weiß es auch nicht. Von bürokratischen Vorgängen der Uni wissen die Akademiker nie irgendwas. Eigentlich weiß es außer den hexenartigen Wesen im Prüfungsamt eh keiner.

10.34 Bushaltestelle des X83er.
Anruf bei Lars, um ihn über die Leistungen meines "Riesenhirns" zu informieren. Anruf bei Jan, um ihn über seine Leistungen als meine erste "Lerngruppe" zu informieren. Beide sagen, ich solle feiern. Ich sage, ich müsse eine Reportage schreiben und abends arbeiten.

10.44 S1 Richtung Oranienburg. iPod mit Musicalsongs auf den Ohren. Grenzdebiles Lächeln auf den Lippen.

12.30 auf der roten Couch im Wohnzimmer.
Ich öffne nach langer Zeit mal wieder die Informationen zu den Bewerbungsunterlagen, die ich noch benötige und mein Lächeln friert ein. Waaaaaaaaaaas wollen die? Einen nicht-tabellarischen Lebenslauf? Was soll das denn nun schon wieder? Ich habe doch gerade so viel Arbeit in meinen tabellarischen gesteckt. Der ist endlich schön und vorzeigbar. Und was wollen die? Einen nicht-tabellarischen. Na toll. Ich schreibe eine Hilfemail an die Menschen in meinem Adressbuch, die ich in Bewerbungsdingen für erfahren und kompetent halte und versuche Papa anzurufen.
Der ist nicht da, also rufe ich Mama an. Nicht wegen des Lebenslaufs. Sondern weil ich sie eh schon seit Tagen anrufen wollte.

13.15 an Daniels Schreibtisch, wo es wärmer ist.
Ich stelle fest, dass sie auf dem nicht-tabellarischen Lebenslauf auch noch ein Passfotos aufgeklebt haben wollen. Muss das wirklich sein? Ich denke an mein Personalausweisfoto, auf dem ich aussehe wie ein "Eskimo", ein "Goth", eine "10Jährige" und vor allem nach "This is not you. I can't accept this ID."

13.30 am Laptop
Ich bin mit den Bewerbungsunterlage überfordert und prokrastiniere auf Facebook. Kathleen kann nicht verstehen, was für Fotos ich mit meiner Bewerbung mitschicken soll. Von was? Ach, was würde ich dafür geben, wenn die Deutschen wie die Amerikaner und Australier Fotos auf Bewerbungen verbieten würden.

13.50 am Telefon.
Rückruf von Papa, der auch nicht so richtig weiß, wie ein nicht-tabellarischer Lebenslauf aussehen soll, aber verspricht, sich meine erste Version abends mal anzugucken und zu korrigieren. Was die Lufthansa bei den Telefoninterviews von einem wissen will, weiß er auch nicht. Ich soll Bekannte von mir fragen, die als Stewardess arbeiten. Ich habe keine Bekannten, die als Stewardess arbeiten. Meine Freunde sind alle sehr intellektuell, im Gegensatz zu mir.






fortsetzung folgt