Ach, wir media students haben es doch echt gut. Mal gehen wir unter dem Deckmantel der Recherche und Interviewmöglichkeitens in Kino, mal in Austellungen. Am Freitag haben wir sogar eine kleine Tagesreise unternommen. Raus aus der Stadt, ab ins Outback quasi. Na ja, zumindest fast.
Denn aus unerklärlichen Gründen findet die Ausstellung "Under Construction" von Ai Wei Wei nicht in Sydney selbst, sondern im Arts Centre von Campbelltown statt, was nicht, wie vorher irrtümlich von mir angenommen, ein suburb im Süden der Stadt ist, sondern eher eine eigene Kleinstadt, die anderthalb Stunden mit dem Zug entfernt ist. Vielleicht gehört es auch zu Sydney. Man weiß das hier ja nie so genau, wo die Stadt anfängt und aufhört und was nun zu Sydney zählt und was nicht. Bei Campbelltown waren wir uns aber alle vier nicht so sicher, ob man das noch zur Stadt zählen darf. Qin hatte zwischenzeitlich Angst, es gebe dort vielleicht keinen ATM, worauf Kerry mit "Well, it's not that remote, people do live there!" entgegnete.
Und auf unserer Suche nach dem Arts Centre wurden wir von den Einheimischen immer gefragt, woher wir denn kämen und haben mit "From Sydney" geantwortet.
Die lange Bahnfahrt haben wir uns ganz im Klassenfahrtsstil mit essen (kaum waren wir in Redfern eingestiegen, haben wir alle vier erstmal unser lunch rausgeholt), trinken ("I should have brought mulled wine instead of tea!"), Zeitung lesen, Musik hören und den anderen vorspielen ("That's my absolute favourite song right now! I am so addicted to it!") und schlafen verbracht. Außerdem hat Kerry uns alle mit Hintergrundinformationen zu ihrem Lieblingskünstler versorgt und uns ganz professionell dazu genötigt, jeder mindestens drei der Stapel von Artikeln pber ihn zu lesen und uns Interviewfragen zu überlegen. Den Rest der Zeit haben wir alle anderen Passagiere terrorisiert, indem wir uns unterhalten haben: Kerry und ich geben uns lautstärkemäßig wenig... Man kann also nicht einfach weghören.
In Campbelltown angekommen, stellte sich heraus, dass eigentlich keiner von uns wusste, wo wir genau hinmüssen, weil wir angenommen hatten, dass der Ort entweder so klein sei, dass das Arts Centre direkt ans Bahnhofgebäude angrenzt oder es zumindest riesig ausgeschildert ist. Veronica meinte, sich von einem Blick auf google maps am Vorabend genaustens zu erinnern, wo wir langmüssten und hat uns quer durch die hässliche Stadt gejagt. Der Busfahrer, den wir nach dem Weg fragten, hatte noch nie was von einem Arts Centre gehört. Die Anweisungen des Taxifahrers haben wir nicht so recht verstanden. Die Chinesin aus dem coffee shop wusste noch nicht mal, wie die Straße heißt, in der ihr Laden ist. Veronica war sich immer noch sicher, sie wisse, wo wir hinmüssten, Kerry war genervt, weil wir spät dran waren, Qin wollte nicht für ein Taxi bezahlen und ich musste dringend aufs Klo und wollte keinen Meter mehr gehen.
Also sind Veronica und Qin zu Fuß weitergelaufen, um den Straßennamen herauszufinden ("Why do they never have street signs in Australia at the intersections?!"), während Kerry die Straße auf der Suche nach einem Taxi auf und ablief.
Das Podiumsgespräch zwischen Ai Wei Wei und dem Ausstellungskurator von "Under Construction" sollte um 2pm beginnen. Das erste freie Taxi kam um fünf vor. Es stellte sich heraus, dass das Arts Centre quasi auf der anderen Seite der großen Straße war und wir im Kreis dran vorbeigegangen waren. Egal. Wir wollten das Taxi trotzdem und der Fahrer war so freundlich, uns für vier Dollar einmal über die Straße zu fahren, wo Veronica und Qin schon warteten.
Wie immer bei solchen Veranstaltungen wurde natürlich nicht pünktlich angefangen, sodass wir alle genug Zeit hatten, aufs Klo zu gehen und mit Ai Wei Weis zickiger Assistentin zu diskutieren, ob wir ihn nun interviewen dürften oder nicht. Wir durften nicht. "You can send me your questions by email."- "But it's a radio assignment!"
Kerry war kurz vorm Amoklauf, hat aber glücklicherweise ihre Energie darauf verwendet, weiterzufragen und so lange zu betteln, bis uns wenigstens erlaubt wurde, die gesamte Q&A session aufzuzeichnen.
Während Kerry und Qin also mit dem Aufnahmegerät vor der ersten Reihe auf dem Boden saßen und ganz aufgeregt viele Fragen gestellt haben, haben Veronica und ich uns hinten gelangweilt und festgestellt, das Künstler scheinbar nicht gern reden, sondern sich lieber durch ihre Kunstwerke ausdrücken und waren ganz froh, dass wir Ai Wei Wei nicht selbst interviewen mussten, weil er die Fragen aus dem Publikum eigentlich meistens gar nicht oder nur ganz kurz beantwortet hat und der Fragende hinterher irgendwie immer doof da stand. Wobei es mit "So, on your blog you write a lot about your cats, are they really that magical?" und ähnlichem auch mal wieder unglaublich bescheuerte Fragen gab.
Anschließend durften wir dann kurz den Kurator interviewen, der glücklicherweise gesprächiger und leichter im Umgang war, bevor wir uns die Ausstellung angucken konnten und plötzlich überrascht festgestellt habe, dass Ai Wei Wei derjenige war, der letztes Jahr zu documenta 1001 Chinesen nach Kassel geholt hat. Man, hätte ich das schon während der Veranstaltung gewusst, hätte ich auch noch die eine oder andere doofe Frage parat gehabt. Denn mir ist immer noch nicht ganz klar, wer das um Himmels Willen bezahlt hat.
Den Film "fairytale", der die Chinesen in Kassel zeigt, der in der Ausstellung lief, konnten wir leider nur zum Teil sehen, weil er drei Stunden geht und wir irgendwann auch mal wieder zurück in die Stadt mussten. Aber die Ausschnitte, die ich gesehen habe, waren super, obwohl es auch komisch war Horst Köhler (den ich ja, wie wir alle wissen nicht mag, weil er in der Staatsoper so unpünktlich war! wollte ich nur noch mal gesagt haben) und einen Schlecker in der Kasseler Fußgängerzone auf der Leinwand in einer Austellung eines chinesischen Künstlers in einem Pupsort in Australien zu sehen.
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4 Kommentare:
"...Den Rest der Zeit haben wir alle anderen Passagiere terrorisiert, indem wir uns unterhalten haben: Kerry und ich geben uns lautstärkemäßig wenig... Man kann also nicht einfach weghören. ..."
Schön dass sich manche Dinge einfach nicht ändern. Auf jeder Party ist das das sogenannte "Sara-GPS", man weiß wirklich immer wo Du bist ;-)
Ich finde es beachtlich, was Ihr in den 1,5 Stunden Zugfahrt alles gemacht habt.
Oh, ich war auch neulich in einem Dorf am Rande von Berlin... Es liegt im Bereich C der BVG, und die Autos haben andere Kennzeichen dort! Da sind Pablo, Christian, Frank und ich so richtig schön bürgerlich um den See gewandert und haben uns Kaffee und Kuchen gegönnt. :) Keine chinesische Kultur...
Hey, das ist ja witzig dass ihr Ai Wei Wei "interviewt" habt!!! Er ist der Chef einer Freudin von mir, die gerade in Peking lebt.. und immer von seinem furchtbaren, cholerischen Charakter erzählt... Aber seine Werke sind wahnsinning gut! Würde auch gern den Film über die Chinesen sehen, v.a. weil die sich hauptsächlich in Kassel gelangweilt haben... Übrigens hat das Projekt "1001 Chinesen" wohl seine Galerie in Zürich bezahlt...
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